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Wir sehen die Dinge nicht wie sie sind.

Anaïs Nin, Gestalttherapie, Praxis für Psychotherapie Barbara Schlemmer, Dipl. Psychologin
Foto: CC0

„Wir sehen die Dinge nicht wie sie sind. Wir sehen sie so, wie wir sind.“ (Anaïs Nin)

 

So scheint es wohl zu sein. Denn offenbar gehört es zur menschlichen Wesensnatur. Menschen können nicht anders. Anaïs Nin hat vollkommen Recht. Das menschliche Gehirn kann bauartbedingt nicht anders als zuordnen, einteilen und vergleichen. Jeder Sinneseindruck, der als Reiz über Auge, Ohr, Nase, Mund oder Haut im sensorischen Teil des Hypothalamus („Pförtnerfunktion“) ankommt, wird überprüft, inwiefern bereits eine Erfahrung im Neokortex (autobiographisches Gedächtnis) und im limbischen System (Gefühlsqualität) vorliegt: Ist er bekannt? Lässt er sich zuordnen? Gibt es Erfahrungswerte? Ergibt er einen Sinn? Gibt es Zusammenhänge? Finden sich Ähnlichkeiten? Erst danach entscheidet sich, wie mit dem Sinneseindruck umgegangen werden kann.

 

Reaktionen (gedanklich, handelnd) folgen dementsprechend. Menschen reagieren in der Regel auf die Welt, so wie es ihrem Erfahrungshorizont entspricht. Sie entwerfen im Laufe ihres Lebens ihre persönliche „Landkarte“ von Wirklichkeit, aufgrund von Erfahrungen und Erwartungen. Diese Vorgänge sind meist unbewusst und unreflektiert. Es wäre fatal zu glauben, dass man die (!) Wirklichkeit erkennen würde, nur weil man auf beiden Augen dasselbe sieht oder auf beiden Ohren dasselbe hört. „Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, mit eigenen Ohren gehört“ Ja schon; Vorsicht allerdings, was die Deutung oder die Bewertung angeht! Da spielt Unbewusstes mit. Auch die gedankliche (nicht wissenschaftliche) Auseinandersetzung mit beiden Hirnhälften wird kein objektives Ergebnis liefern können. Auch wenn beide „rechnen“ wird das Ergebnis immer gefärbt sein von Werten, die mit eingespielt worden sind. Wirklichkeit kann nicht objektiv, sondern nur subjektiv sein.

 

Dinge lassen sich nicht sehen wie sie sind. Von Objektivität keine Spur! Die Quantenphysik bestätigt diese Erkenntnis von ganz anderer Seite. Objektivität im Sinne einer unabhängigen Beurteilung eines Etwas kann es für Subjekte nicht geben. Denn mit jeder Beobachtung und durch sie verändert sich das Objekt. Das Subjekt Mensch beeinflusst das Objekt bereits durch seine Beobachtung. Welt als Objekt kann quantenphysikalisch gesehen also nicht objektiv für den Menschen in Erscheinung treten.  

 

Dennoch sind Menschen von Natur aus darauf angewiesen, mit ihrer Welt in Beziehung zu gehen und sich zugleich ein „Bild“ von ihr zu machen. Solange alles glatt läuft und diese Beziehungen reibungslos verlaufen, spielt die unbewusste Gleichsetzung zwischen subjektivem Eindruck und vermeintlich objektiver Betrachtung keine große Rolle. Wichtig wird die Unterscheidung dann, wenn es „knirscht im Getriebe“, wenn es „knistert im Gebälk“, wenn die Beziehung auf irgendeine Art problematisch wird: Missverständnisse, Wertungen, Deutungen und vieles mehr sorgen für Verletzungen, Ärger, Wut, Enttäuschung und anderes mehr.

 

Ein Blick über den eigenen Tellerrand fällt dann oftmals schwer. Wieso? Warum? „Der/die ist/hat/macht…“ „Nein, nicht schon wieder…“ „Immer ich, immer bei mir…“ Vorwürfe oder Selbstvorwürfe stehen im Raum. Unverständnis entsteht. Die Ratlosigkeit beginnt. Man steckt als Betroffener mittendrin und scheint wie blockiert zu sein.

 

Bei solchen Gefühlen kann eine Hilfestellung von „außen“ gute Dienste erweisen. Die Gestalttherapie bietet eine erstklassige Form an. Denn sie macht sich, als Vertreterin der humanistischen Psychotherapie, genau diese Erkenntnisse der Wahrnehmungspsychologie zu Nutzen. Sie konzentriert sich auf das „Hier und Jetzt“. Erfahrungsgemäß ist das, was jetzt ist, was jetzt in Erscheinung tritt, entscheidend und bereit für Veränderung. Denn: „Wir sehen die Dinge nicht wie sie sind. Wir sehen sie so, wie wir sind.“ Wird dies durch gestalttherapeutische Intervention situativ deutlich und zwar konkret durch eigenes Erfahren, sieht „unsere Welt“ wieder anders aus. Ein neuer Weg bahnt sich durch den Engpass hindurch. Das Leben kommt wieder in den Fluss: Entwicklung statt Rückschritt oder Stillstand. Progression statt Regression. Explosion statt Implosion.

 

Mehr über Gestalttherapie:

https://www.psychotherapie-schlemmer.de/therapeutisches/behandlung/gestalttherapie/

 

Video auf YouTube:

https://youtu.be/EoqgcXbit64