Schmetterling und Taucherglocke

Schmetterling und Taucherglocke (Jean-Dominique Bauby) - Buchempfehlung der Praxis für Psychotherapie, Barbara Schlemmer, Dipl. Psychologin
Schmetterling und Taucherglocke (CC0)

Schmetterling und Taucherglocke (Jean-Dominique Bauby, Wien, 2008)

 

Welch ein Schicksal und was für ein Aufbäumen. Jede Sekunde Leben trotz allem, was geschehen ist und noch geschehen wird. Autobiographisch verfasst, eine Lebensgeschichte, die mit einem schweren Krankheitsfall beginnt und einen unfassbaren Verlauf hin zum Leben nimmt. Aber wie jedes Leben auch wiederum mit dem Tod endet. Wie sonst. In dieser Zwischenzeit, auch Leben genannt, geschieht Unfassbares, Unerwartetes.

 

Wenn man sich als Vorbereitung auf die Lektüre zunächst vorstellt, in sich eingeschlossen zu sein, so dass keine Möglichkeit besteht, die Außenwelt wahrzunehmen, dann ist man innerlich schon ein wenig vorgestimmt auf das, was kommen mag. Vielleicht als Steigerung lässt sich auch versuchen oder sich vorstellen, die Augen zu schließen, die Ohren zu verstopfen, sich eng in eine Decke einzuwickeln, natürlich dabei weiter atmen, und dann versuchen zu erspüren, wie das Wohlbefinden so sein mag. Es wird wohl beklemmend, dunkel, still und vielleicht auch angstauslösend sein.

 

Stellt man sich jetzt auch noch weiter vor, abgeschnitten von den vielen Rückmeldungen des Körpers zu sein, was z.B. die Beine oder Arme gerade so tun, wo sie liegen oder sich befinden, wie es der Haut oder dem Inneren so geht, dann wird es wohl noch düsterer in uns werden. Fast hat man es dann geschafft. Zumindest ist man gefühlsmäßig bereits mitten im Buch.

 

Denn genauso oder ähnlich scheint es dem Buchautor Jean-Dominique Bauby im Alter von 43 Jahren durch einen Schlaganfall im Stammhirn ergangen zu sein. Er fällt dadurch in eine Art Koma aus dem er nach Tagen erwacht, vollkommen bewegungsunfähig bis auf das linke Augenlid. Seine Diagnose lautet: „Locked-in-Syndrom“. Geistig ist er wohlauf, was letztendlich auch die Entstehung dieses Buches belegt, das er selbst initiiert hat.

 

Das Augenlid wird sein Fenster zur Welt. Er lernt darüber und damit Kontakt aufzunehmen und seine Therapeutinnen lernen damit umzugehen und ihn auf seinem Weg zu einem besonderen Ende hin zu begleiten.

 

Schmetterling und Taucherglocke ist eine tragische Geschichte, die sogar verfilmt wurde und deren Inhalt in einem eigenen Wikipedia-Eintrag beschrieben wird.

 

Warum sollte man es lesen? Um sich schaurig zu fühlen? Um sich sagen zu können, Gott sei Dank geht es mir besser? Um seine eigene Lebensgeschichte oder das Leid, in dem man sich befindet, relativieren zu können, weil es anderen vielleicht noch schlechter geht? Vielleicht all dies eher nicht.

 

Dieses Buch sollte man lesen, wenn man sich angesprochen fühlt, weil es zeigt, dass es trotz allem, trotz einer ausweglosen Situation, eine Möglichkeit geben kann, einen Rest an menschlicher Freiheit zu leben. Und sei es auch nur durch ein einzig verbliebenes Augenzwinkern, was aus dem Eingeschlossen sein befreien könnte. Resilienz, seelische Widerstandskraft, in hoffnungslosen Momenten aktiviert, kann Wunder bewirken und Licht in die eigene Dunkelheit bringen. Immer und bei jedem Menschen. Das darf man nicht vergessen. Denn Leben ist kostbar.

 

Daher absolute Leseempfehlung für alle, die sich auf dieses dunkle, aber aufhellende Thema einlassen wollen. Lohnt sich.

 

(Taschenbuch) 134 S.